Wenn eine Blüte Schutz sein will


November 16, 2025
Stephan Pohl

Wenn eine Blüte Schutz sein will

Heute war da ein Duft,
der mich für einen Moment
aus allem herausgenommen hat.
Ein Atemzug nur,
und plötzlich stand ich still,
als hätte jemand leise eine Hand
auf meine Schulter gelegt.

Ylang Ylang.

Eine Blüte, die in mir nicht als Blüte erscheint,
sondern als etwas Weiches, das sich über mich beugt —
wie ein Dach aus warmem Licht,
wie eine schützende Geste,
die man nicht einfordert,
und die doch einfach da ist.

Dieses Bild kenne ich gut.
Es taucht oft auf,
wenn ich mit der Essenz arbeite:
dieses behutsame Über-mich-Legen,
fast wie ein Wortloses:
„Für einen Moment bist du gehalten.“

Doch wenn ich am Öl selbst rieche,
verschiebt sich etwas.
Plötzlich ist da eine weibliche Kraft,
nicht zaghaft,
sondern klar,
deutlich,
fast unumgehbar in ihrer Weichheit.

Und etwas in mir nimmt einen Schritt zurück —
nicht aus Angst,
sondern aus Überraschung,
weil ich diese Form von Stärke
noch nicht vollständig kenne.

Ich habe dabei gemerkt,
wie fest in mir die Vorstellung sitzt,
dass Schutz etwas Aufrechtes ist:
der klare Strich von Algiz,
der nach oben zeigt
und sagt:
„Hier stehe ich.“

Oder die Rose von Thurisaz,
die Dornen hat,
nicht aus Härte,
sondern weil ihr Herz pulst
und Raum braucht.

Diese Symbole kenne ich.
Ich kann sie halten.
Sie sind in mir seit Jahren.

Aber dass eine Blüte —
so weich,
so still,
so weiblich —
mich schützt,
mich umhüllt,
mich beinahe einlädt,
die Schultern sinken zu lassen …

Das ist neu.
Und neu macht nicht nur neugierig —
manchmal macht es auch verletzlich.

Ich musste über mich selbst lachen,
über meinen Versuch,
sofort Ordnung
in dieses Gefühl zu bringen,
als wäre Schutz nur dann sicher,
wenn ich verstehe,
warum er entsteht
und wie er gemeint ist.

Vielleicht ist genau das
einer der Punkte meines Weges:
dass ich lerne,
mich halten zu lassen,
ohne die Geste zu analysieren.
Dass Schutz nicht immer
aus Stärke kommt,
sondern manchmal
aus einem Duft,
aus einer Wärme,
aus einer Blüte,
die sich über mich legt,
ohne Grund,
ohne Absicht,
einfach weil sie kann.

Ich weiß nicht genau,
was sich in diesem Moment
in mir bewegt hat.
Aber ich spüre,
dass etwas in mir weicher geworden ist —
nicht viel,
nicht sichtbar,
aber fühlbar.

Vielleicht bleibt diese Blüte
noch ein wenig bei mir.
Nicht als Symbol,
nicht als Erkenntnis,
sondern als ein leiser,
fast unmerklicher Moment,
der einfach da ist
und auf seine Zeit wartet.


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